Der lange Weg zur Diagnose bei seltenen Erkrankungen
Warum frühe Diagnosen entscheidend sind
Viele Menschen, die mit einer seltenen Erkrankung leben, haben bis zur gesicherten Diagnose eine oft langwierige und herausfordernde Reise überstanden. Diese "Diagnose-Odyssee" kann Jahre dauern und stellt Betroffene und Angehörige vor große Belastungen. Doch warum ist eine frühe Diagnose so wichtig? Warum dauert es in vielen Fällen so lange? Und welche Maßnahmen helfen bereits, diesen Prozess zu beschleunigen?
Die Bedeutung einer frühen Diagnose
Eine frühzeitige und präzise Diagnose ist bei seltenen Erkrankungen von enormer Bedeutung. Je früher eine Diagnose gestellt wird, desto eher können gezielte therapeutische Maßnahmen ergriffen werden. Dies kann nicht nur die Krankheitslast verringern, sondern auch die Lebensqualität und Lebenserwartung positiv beeinflussen. Zudem bedeutet eine schnelle Diagnose weniger psychische Belastung und Unsicherheit für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Die Auswirkungen einer frühen Diagnose reichen also weit über die medizinische Ebene hinaus und tragen maßgeblich zur Stabilisierung des Alltags bei.
Warum dauert die Diagnose so lange?
Trotz der entscheidenden Rolle einer frühen Diagnose kann es bei seltenen Erkrankungen oft Jahre dauern, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Im Durchschnitt vergehen laut einer Erhebung rund 3,3 Jahre vom Auftreten der ersten Symptome bis zur gesicherten Diagnose.1 Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich vor allem auf die Komplexität seltener Erkrankungen zurückführen:
3 Fakten
Vielzahl & Vielfalt
Hausärzte können nicht alle 7.000 – 8.000 seltene Erkrankungen kennen1
Komplexität
Unspezifische und systematische Symptome erschweren Diagnose1
Fehlerquote
Je nach Erkrankung bis zu 40 % Fehlerquote bei Diagnose1
- Jährlich werden ca. 250 neue seltene Erkrankungen beschrieben, und derzeit sind etwa 7.000 bis 8.000 seltene Krankheiten bekannt. Es ist unmöglich, dass jeder Hausarzt über Kenntnisse zu all diesen Erkrankungen verfügt.1
- Viele seltene Erkrankungen betreffen mehrere Organsysteme und gehen mit unspezifischen, systematischen Symptomen einher, was die Diagnosestellung zusätzlich erschwert. Diese Vielzahl an Beschwerden führt oft zu Fehldiagnosen und damit zu falschen oder sogar schädlichen Behandlungen, die zusätzliche Komplikationen bedeuten können.1
- Eine Studie, die den Diagnoseweg bei acht verschiedenen seltenen Erkrankungen verglich, zeigte eine Fehlerquote von bis zu 40 %.1 Diese Quote verdeutlicht, wie groß die diagnostische Herausforderung ist und wie dringend Lösungen erforderlich sind, um die Genauigkeit und Geschwindigkeit von Diagnosen zu verbessern.
Manchen seltenen Erkrankungen sind auch sogenannte Ausschlussdiagnosen. Ein Beispiel dafür ist die Immunthrombozytopenie (ITP).2 Ausschlussdiagnose bedeutet, dass man die Erkrankung selbst nicht direkt durch Labortests oder Untersuchungen nachweisen kann. Stattdessen müssen andere Diagnosen verlässlich ausgeschlossen werden. Wenn dann keine „bekannte“ Diagnose übrigbleibt, geht man davon aus z. B. eine Immunthrombozytopenie vorliegt.
Fortschritte und Maßnahmen zur Beschleunigung der Diagnose
In den letzten Jahren haben sich die Diagnosemöglichkeiten für seltene Erkrankungen erfreulicherweise verbessert.1 Neben medizinischen Fortschritten und neuen Testverfahren gibt es zahlreiche Initiativen, die darauf abzielen, den Diagnoseprozess zu beschleunigen und Fehlerquoten zu senken.
Zentren für Seltene Erkrankungen
Bündeln Wissen und Ressourcen für schnellere und gezielte Diagnosen
Datenbanken & Leitlinien
Zentraler Zugriff auf Infos und Anweisungen erleichtert Ärzten die Diagnostik
Bewusstsein & Schulung
Sensibilisierung von Hausärzten für seltene Erkrankungen zur frühen Überweisung
Diagnoseschlüssel & Register
Erleichtert Krankheitszuordnung und Sammlung von Forschungsdaten
Früherkennung bei Kindern
U-Untersuchungen erkennen einige seltene Erkrankungen frühzeitig
Eine positive Entwicklung für die Zukunft
Die aktuellen Entwicklungen lassen hoffen. Sowohl Betroffene als auch Ärzte berichten in einer Befragung des Fraunhofer Instituts aus dem Jahr 2023, dass die Diagnosemöglichkeiten sich in den letzten Jahren deutlich verbessert haben.3 Immer mehr Maßnahmen werden umgesetzt, die Diagnoseprozesse für seltene Erkrankungen zu optimieren. Diese Fortschritte schaffen nicht nur eine größere Sicherheit für Betroffene, sondern auch eine Basis für eine zukunftsorientierte medizinische Versorgung.
Was kann ich tun, um den Weg zur Diagnose zu unterstützen?
Auch hier bei Selten Vereint möchten wir einen Teil dazu beitragen, den langen Weg zur Diagnose bei seltenen Erkrankungen zu verkürzen. Wir stärken das Bewusstsein, klären auf und bieten praktische Tipps zur Symptom- und Diagnosebewältigung. Unser Ziel: Gemeinsam seltene Erkrankungen besser verstehen und Betroffene unterstützen.
Haben Sie den Verdacht, dass Sie selbst oder ein Angehöriger bzw. eine Angehörige unter einer seltenen Erkrankung leidet? Hier bieten wir Ihnen sechs praktische Tipps, wie Sie den Weg zur Diagnose unterstützen können.
Eine detaillierte Aufzeichnung all Ihrer Symptome, ihrer Häufigkeit und ihres Verlaufs hilft Ärzten. Führen Sie ein Symptomtagebuch, notieren Sie auch scheinbar unwichtige Symptome und machen Sie Fotos von sichtbaren Symptomen, falls vorhanden.
Ihre Familiengeschichte kann genetische Hinweise liefern. Sammeln Sie Informationen über Krankheitsfälle und Besonderheiten in der Familie, notieren Sie den Verwandtschaftsgrad und teilen Sie diese Informationen mit Ihrem Arzt.
Um Doppeluntersuchungen zu vermeiden und den Überblick zu behalten, sammeln Sie alle bisherigen Befunde, erstellen Sie eine Liste aller Tests und Behandlungen und bringen Sie Kopien wichtiger Unterlagen zum Arztbesuch mit.
Bereiten Sie sich vor, indem Sie eine Liste mit Fragen zu Symptomen, möglichen Diagnosen und Untersuchungen erstellen. Informieren Sie sich über seltene Erkrankungen und sprechen Sie Ihren Arzt gezielt auf diese Möglichkeit an.
Bei Verdacht auf eine seltene Erkrankung können Sie Ihren Arzt auf spezialisierte Zentren aufmerksam machen, eine Überweisung anfordern und sich selbst über nahegelegene Zentren für seltene Erkrankungen informieren.
Die Diagnose einer seltenen Erkrankung ist oft langwierig. Bleiben Sie geduldig, seien Sie bereit für mehrere Untersuchungen und wirken Sie aktiv an der Diagnosefindung mit, indem Sie dem Arzt alle relevanten Informationen zur Verfügung stellen.
Hier bei Selten Vereint bieten wir Ihnen verschiedene kostenlose Downloads, die Sie bei der Dokumentation Ihrer Symptome unterstützen.
Hoffnung auf eine bessere Diagnostik
Der Weg zur Diagnose bleibt für Menschen mit seltenen Erkrankungen zwar oft eine Herausforderung, doch die Fortschritte der letzten Jahre zeigen, dass sich die Lage langsam, aber stetig verbessert. Durch das Zusammenspiel von spezialisierten Zentren, verbesserten Diagnoseschlüsseln, Schulungen und neuen Testverfahren wird der Weg zur Diagnose kürzer und sicherer. Zudem werden auch die alltagsrelevanten Erfahrungswerte von Betroffenen und Patientenorganisationen mehr wertgeschätzt und zunehmend bei der Planung neue Maßnahmen einbezogen. So ziehen alle Beteiligten an einem Strang. Diese Entwicklungen geben Anlass zur Hoffnung und zeigen, dass eine schnellere und präzise Diagnosestellung immer mehr zur Realität wird – ein wichtiges Signal für die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen, die oft Jahre der Unsicherheit durchleben mussten.
Quellen
- Bundesgesundheitsministerium. Forschungsbericht: Maßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit seltenen Erkrankungen in Deutschland. Online verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/Berichte/110516_Forschungsbericht_Seltene_Krankheiten.pdf zuletzt abgerufen: 13.11.2024
- Onkopedia. Immunthrombozytopenie. Online verfügbar unter: >https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/immunthrombozytopenie-itp/@@guideline/html/index.html zuletzt abgerufen am 13.11.2024
- Bundesgesundheitsministerium. Die gesundheitliche Situation von Menschen mit Seltenen Erkrankungen in Deutschland. Online verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/seltene_erkrankungen_bf.pdf zuletzt abgerufen: 13.11.2024