Still Syndrom

Still-Syndrom

Das Still-Syndrom

Das sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auftretende Still-Syndrom ist eine seltene, autoinflammatorische Multiorgan-Krankheit. Es umfasst Systemische juvenile idiopathische Arthritis (SJIA) bei Kindern und Jugendlichen sowie die Erkrankung Adult-Onset Still's Disease (AOSD) bei Erwachsenen.1-4

Epodemiologie in Deutschland

Die SJIA ist die seltenste, aber auch schwerste Form der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) und betrifft nach Experten-Schätzungen ca. 10–20 Prozent der Erkrankungen. Jedes Jahr gibt es 5–20 Neuerkrankungen pro 100.000 Kinder – Jungen und Mädchen erkranken in etwa gleicher Anzahl.1-5

Die AOSD betrifft Frauen und Männer gleichermaßen und zeigt vorwiegend zwei Erkrankungsgipfel: zwischen dem 15. bis 25. und zwischen dem 36. und 46. Lebensjahr.2

AOSD tritt weltweit auf. Es gibt ungefähr 1 Betroffenen pro 100.000 Einwohner, wobei die Dunkelziffer wahrscheinlich relativ hoch ist.2, 6

Typische Symptome des Still-Syndroms sind:2, 7

  • Wiederkehrende, tägliche Fieberschübe (Remittierendes Fieber),
  • Hautausschlag (Exanthem),
  • Gelenkentzündung (Arthritis),
  • Lymphknotenvergrößerung (Lymphadenopathie),
  • Leber- und Milzvergrößerung (Hepatosplenomegalie),
  • Entzündung einer serösen Haut, z. B. des Brustfells oder des Herzbeutels (Serositis).

Die Ursachen für das Still-Syndrom sind noch nicht eindeutig wissenschaftlich geklärt

– in zwei Dingen sind sich die Experten jedoch einig:

  1. Je früher die passende Therapie erfolgt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit der Risikoreduktion für Gelenk-, Organ- und Spätschäden.
  2. Primäres Therapieziel ist eine schnelle, anhaltende Linderung des akuten systemischen Entzündungsgeschehens.

Daran anschließend gilt es, eine inaktive Erkrankung und eine langfristige Remission zu erreichen sowie Organ- und destruktive Gelenkschäden zu vermeiden.1, 8, 9

Wie bei allen autoinflammatorischen Erkrankungen kommt es auch bei dem Still-Syndrom zu einer Aktivierung des ange­borenen Immunsystems. Ausgelöst wird dies höchstwahrscheinlich durch eine Überaktivität von bestimmten Botenstoffen des Immunsystems, den Zytokinen.

Insbesondere bei SJIA spielen die proinflammatorischen Zytokine lnterleukin-1α (IL-1α), lnterleukin-1ß (IL-1ß) und auch Interleukin-6 (IL-6) eine maßgebliche Rolle und „befeuern“ die Aktivität der SJIA. Die Therapien fokussieren sich deshalb auf die Blockade der biologischen Aktivität der Interleukine.10-12

Verlauf

Die kindliche Form des Still-Syndroms (SJIA) beginnt häufig mit hohem Fieber (über 39 °C) und Hautausschlag (Exanthem). Bei Beginn der Erkrankung ist häufig zunächst keine Gelenkentzündung (Arthritis) erkennbar, doch äußern einige Patienten bereits Gelenkschmerzen. Die Beschwerden können im Verlauf sehr variabel ausgeprägt sein:3, 11, 13

  • monozyklisch, ca. 40 % der Patienten,
  • polyzyklisch, < 10 %,
  • persistierend > 50 % Erkrankung.

 

Abbildung nach 3, 11, 13

 

Auch bei Erwachsenen mit dem Still-Syndrom (AOSD) zeigen Patienten unterschiedliche Verläufe. So gibt es Patienten, die nur einen AOSD-Schub haben (20–30 %). Andere Patienten haben immer wieder Schübe (15–45 %) oder eine anhaltende Erkrankung (25–45 %).

Symptome

Die Symptome des Still-Syndroms sind vielseitig, oft wenig spezifisch und zeigen sich je nach Symptom und der systemischen Ausprägung an verschiedensten Stellen des Körpers.

Gemäß der Klassifikation nach ILAR (International League Against Rheumatism) liegt die kindliche Form des Still-Syndroms (SJIA) bei folgenden Kriterien vor:2, 7, 14

  • Remittierendes Fieber über mindestens 14 Tage mit 1 bis 2 Fieberspitzen täglich,
  • Entzündung in mindestens einem Gelenk, jedoch initial häufig nicht erkennbar (Arthritis),
  • Und mindestens eines der folgenden Symptome:
    • Flüchtiger Hautausschlag (Exanthem),
    • Generalisierte Lymphknotenschwellungen (Lymphadenopathie),
    • Leber- und/oder Milzvergrößerung (Hepatomegalie und/oder Splenomegalie),
    • Entzündung einer serösen Haut, z. B. des Brustfells oder des Herzbeutels (Serositis).

Abbildung nach2, 7, 14

Auch das Still-Syndrom des Erwachsenen (AOSD) ist eine Ausschlussdiagnose. In der AOSD-Abklärung und Diagnosestellung werden am häufigsten die Klassifikationskriterien von Yamaguchi angewendet. Es müssen bei AOSD fünf Kriterien und davon mindestens zwei Hauptkriterien erfüllt sein:15

 

Im Rahmen des Still-Syndroms kann es bei allen Patientengruppen zu Komplikationen wie dem Makrophagen-Aktivierungssyndrom (MAS), das etwa bei rund 10 % der betroffenen SJIA-Patienten auftritt, und der Amyloidose kommen.13, 16-21

Bei der Amyloidose bedingt die fortwährende Entzündung im Körper eine ständige Erhöhung der Akute-Phase-Proteine, wie z.B. das Serumamyloid A (SAA). Diese werden in unterschiedlichem Ausmaß als Antwort auf Entzündungsreize gebildet, was zur Schädigung der Nieren führen kann.

Diagnose

Zur Diagnose des Still-Syndroms werden eine umfangreiche Anamnese, Bluttests und Röntgenaufnahmen der betroffenen oder möglicherweise gefährdeten Gelenke vorgenommen.

Liegt ein Still-Syndrom vor, zeigt sich in der Regel folgendes im Labor:8, 9, 22, 23

  • BSG stark beschleunigt,
  • CRP stark erhöht,
  • Erhöhte Anzahl von weißen Blutkörperchen bis 50.000/μl (Leukozytose),
  • Erhöhte Anzahl von Blutplättchen (Thrombozytose),
  • Anämie (Kinder klagen u. a. über schlechten Allgemeinzustand mit Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit),
  • Erhöhung von IL-18 und MRP8/14 (S100),
  • Eine Überprüfung des Ferritin-Wertes sichert die rechtzeitige Feststellung eines erhöhten MAS-Risikos (> 1.000 ng/ml).

Wichtig zu wissen ist, dass bei dem Still-Syndrom keine antinukleären Antikörper oder Rheumafaktoren nachweisbar sind.1

Therapieoptionen

In der Vergangenheit wurden initial häufig NSAR Glukokortikoide und DMARDs eingesetzt – mittlerweile gibt es weitere Therapieoptionen und es werden derzeit zudem die bestehenden Diagnose- und Behandlungsoptionen des& Still-Syndroms hinterfragt.7, 9 Ziel ist es, die krankheitsbedingten Symptome und die Nebenwirkungen der Glukokortikoid-Standardtherapie zu reduzieren bzw. zu vermeiden.

Ein Zusammenschluss kinderrheumatologischer Experten, die PRO-KIND-Initiative, hat einen entsprechenden „Treat to Target“-Konsensus für das kindliche Still-Syndrom (SJIA) entwickelt, um bei allen Patienten eine Symptomfreiheit (Remission) und nur als Alternative eine niedrige Krankheitsaktivität zu erzielen. Dies bedarf einer frühen Diagnose, einer schnellen Therapieeinleitung sowie einer konsequenten Therapieüberwachung und -anpassung.24 Aktuelle Daten legen bei einer frühen initialen Therapie mit Biologika eine Chance auf eine inaktive Erkrankung bzw. Remission nahe.25, 26

Auch bei der Therapie des Still-Syndroms des Erwachsenen (AOSD) empfehlen Experten, dass Biologika insbesondere bei schweren Formen früh und gezielt eingesetzt werden. 7, 9

Bei dem Einsatz von Biologika ist zu berücksichtigen, dass diese bis auf eine Ausnahme erst bei Kindern ab einem Alter von mindestens 2 Jahren zugelassen sind. Ein IL-1-Inhibitor (Hemmer) ist bereits für Kinder ab 8 Monaten mit einem Körpergewicht von zehn Kilogramm zugelassen. Dieses Biologikum kann als erstes Medikament nach der Diagnose (First-Line) in Monotherapie oder in Kombination mit anderen entzündungshemmenden Arzneimitteln und Basistherapeutika (DMARD) angewendet werden.24, 26

Zusätzlich zu der medikamentösen Therapie können Ergotherapie und Physiotherapie die Behandlung sinnvoll ergänzen. Kann keine Kontrolle der Erkrankung erreicht werden, können Kinder sehr stark unter den Folgen des Still-Syndroms leiden oder Verhaltensauffälligkeiten, Angst oder depressive Symptome zeigen. In diesen Fällen sollten die betroffenen Kinder besondere psychologische oder psychosoziale Unterstützung erhalten.

Quellen:

  1. Vastert, Sebastiaan J et al. “Anakinra in children and adults with Still's disease.” Rheumatology (Oxford, England) vol. 58,Suppl 6 (2019): vi9-vi22. doi:10.1093/rheumatology/kez350
  2. Nigrovic, PA and Schneider R, Systemic Juvenile Idiopathic Arthritis and Adult Onset Still Disease, in Textbook of Autoinflammation. 2019. p. 587-616
  3. Bruck, Normi et al. “Current understanding of the pathophysiology of systemic juvenile idiopathic arthritis (sJIA) and target-directed therapeutic approaches.” Clinical immunology (Orlando, Fla.) vol. 159,1 (2015): 72-83. doi:10.1016/j.clim.2015.04.018
  4. https://www.rheuma-liga.de/rheuma/krankheitsbilder/morbus-still (zuletzt besucht am 04.12.2024) 
  5. Horneff, G. “Juvenile Arthritiden” [Juvenile arthritides]. Zeitschrift fur Rheumatologie vol. 69,8 (2010): 719-35; quiz 736-7. doi:10.1007/s00393-010-0664-7
  6. Colafrancesco, Serena et al. “Presentation and diagnosis of adult-onset Still's disease: the implications of current and emerging markers in overcoming the diagnostic challenge.” Expert review of clinical immunology vol. 11,6 (2015): 749-61. doi:10.1586/1744666X.2015.1037287
  7. Feist, Eugen et al. “Mechanisms, biomarkers and targets for adult-onset Still's disease.” Nature reviews. Rheumatology vol. 14,10 (2018): 603-618. doi:10.1038/s41584-018-0081-x
  8. Jamilloux, Yvan et al. “Treatment of adult-onset Still's disease: a review.” Therapeutics and clinical risk management vol. 11 33-43. 22 Dec. 2014, doi:10.2147/TCRM.S64951
  9. Fautrel, Bruno et al. “EULAR/PReS recommendations for the diagnosis and management of Still's disease, comprising systemic juvenile idiopathic arthritis and adult-onset Still's disease.” Annals of the rheumatic diseases vol. 83,12 1614-1627. 14 Nov. 2024, doi:10.1136/ard-2024-225851
  10. Nigrovic, Peter A. “Review: is there a window of opportunity for treatment of systemic juvenile idiopathic arthritis?.” Arthritis & rheumatology (Hoboken, N.J.) vol. 66,6 (2014): 1405-13. doi:10.1002/art.38615
  11. Gerfaud-Valentin, Mathieu et al. “Adult-onset Still's disease.” Autoimmunity reviews vol. 13,7 (2014): 708-22. doi:10.1016/j.autrev.2014.01.058
  12. Grevich, Sriharsha, and Susan Shenoi. “Update on the management of systemic juvenile idiopathic arthritis and role of IL-1 and IL-6 inhibition.” Adolescent health, medicine and therapeutics vol. 8 125-135. 9 Nov. 2017, doi:10.2147/AHMT.S109495
  13. Mitrovic, Stéphane, and Bruno Fautrel. “Complications of adult-onset Still's disease and their management.” Expert review of clinical immunology vol. 14,5 (2018): 351-365. doi:10.1080/1744666X.2018.1465821
  14. Petty, Ross E et al. “International League of Associations for Rheumatology classification of juvenile idiopathic arthritis: second revision, Edmonton, 2001.” The Journal of rheumatology vol. 31,2 (2004): 390-2.
  15. Yamaguchi, M et al. “Preliminary criteria for classification of adult Still's disease.” The Journal of rheumatology vol. 19,3 (1992): 424-30.
  16. Ravelli, Angelo et al. “2016 Classification Criteria for Macrophage Activation Syndrome Complicating Systemic Juvenile Idiopathic Arthritis: A European League Against Rheumatism/American College of Rheumatology/Paediatric Rheumatology International Trials Organisation Collaborative Initiative.” Annals of the rheumatic diseases vol. 75,3 (2016): 481-9. doi:10.1136/annrheumdis-2015-208982
  17. Minoia, Francesca et al. “Clinical features, treatment, and outcome of macrophage activation syndrome complicating systemic juvenile idiopathic arthritis: a multinational, multicenter study of 362 patients.” Arthritis & rheumatology (Hoboken, N.J.) vol. 66,11 (2014): 3160-9. doi:10.1002/art.38802
  18. Ravelli, A et al. “Macrophage activation syndrome as part of systemic juvenile idiopathic arthritis: diagnosis, genetics, pathophysiology and treatment.” Genes and immunity vol. 13,4 (2012): 289-98. doi:10.1038/gene.2012.3
  19. Giacomelli, Roberto et al. “A comprehensive review on adult onset Still's disease.” Journal of autoimmunity vol. 93 (2018): 24-36. doi:10.1016/j.jaut.2018.07.018
  20. Woerner, Andreas et al. “Complications of systemic juvenile idiopathic arthritis: risk factors and management recommendations.” Expert review of clinical immunology vol. 11,5 (2015): 575-88. doi:10.1586/1744666X.2015.1032257
  21. Alexei A. Grom and Edward M. Behrens. Macrophage Activation Syndrome in Rheumatic Diseases. Book chapter: Textbook of Autoinflammation Hashkes et al 2019. 10.1007/978-3-319-98605-0_33
  22. Riera, E et al. “Adult onset Still's disease: review of 41 cases.” Clinical and experimental rheumatology vol. 29,2 (2011): 331-6
  23. Saghafi, Massoud, and Maryam Sahebari. “Does searching for antineutrophil cytoplasmic antibodies help with the diagnosis of Adult-onset Still's disease?.” Rheumatology international vol. 33,3 (2013): 571-4. doi:10.1007/s00296-012-2377-5
  24. Hinze, Claas H et al. “Practice and consensus-based strategies in diagnosing and managing systemic juvenile idiopathic arthritis in Germany.” Pediatric rheumatology online journal vol. 16,1 7. 22 Jan. 2018, doi:10.1186/s12969-018-0224-2
  25. Vastert, Sebastiaan J et al. “Effectiveness of first-line treatment with recombinant interleukin-1 receptor antagonist in steroid-naive patients with new-onset systemic juvenile idiopathic arthritis: results of a prospective cohort study.” Arthritis & rheumatology (Hoboken, N.J.) vol. 66,4 (2014): 1034-43. doi:10.1002/art.38296
  26. Vastert, Sebastiaan J, and Peter A Nigrovic. “Editorial: Toward Personalized Treatment for Systemic Juvenile Idiopathic Arthritis.” Arthritis & rheumatology (Hoboken, N.J.) vol. 70,8 (2018): 1172-1174. doi:10.1002/art.40501